Altes Testament 

Bibelwissenschaft 

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Franz Böhmisch
Die Bezeichnung Altes Testament (ursprünglich "Die Schriften des Alten Testaments") wird im Kontext heutigen Nachdenkens über die Bedeutung der Schriften Israels für die Kirche gerne zu "Erstes Testament" (E. Zenger) umgeformt, um einem Mißverständnis als "veraltet" entgegenzuwirken. Im Zusammenspiel von Altem und Neuem Testament erkennen die Christen die Basis ihres Glaubens. Das AT ist in der Kirche in einer (zumindest) zweifachen Weise präsent: in der hebräischen Bibel (Tenach) und in der griechischen Bibel (Septuaginta), die jeweils unterschiedliche Konzeptionen des Aufbaus bieten (vgl. Tora, Profeten und Schriften).

Das Alte Testament hat als direkte Adressaten die Bene Israel, die Kinder Israels. Im Sinne von Dtn 4,6 zeigt sich aber in diesen Schriften eine Weisheit Gottes, die ausstrahlt über das Erwählungsvolk hinaus, so daß auch die Kinder der anderen Völker angezogen werden, dieser Weisung nahezutreten. Die Sehnsucht Gottes gilt dem Wohl aller Menschen, hat sich jedoch in einzigartiger Weise mit dem Volk Israel verbunden. Die Christen sind sowohl als Kinder des Bundesvolkes wie auch als Heiden, also als Menschen, die anderen Völkern angehören, aufgerufen, auf die Weisung des Alten Testaments zu hören. Als Zweitadressaten, zu denen die Botschaft Gottes vermittelt über Israel gekommen ist, versuchen die Christen, die Schriften des Alten Testaments so auszulegen, daß sie auch für Menschen außerhalb des Bundesvolkes lebbar sind. Die Rabbinen hatten gelehrt, daß den Nichtisraeliten zu ihrem Heil die Befolgung der noachitischen Gebote genügt und die Befolgung der Gebote des AT den Kindern des Bundesvolkes aufgegeben ist. Indem der Kirche das AT als "forwarded message" zum Geschenk gemacht wurde, erkannte sie, daß ihr aus dem AT Weisung entgegenschallt, die auf die jeweilige Situation der Christen heilbringend anzuwenden ist.

Dies gilt nicht nur für die soziale Gesetzgebung in der Tora und bei den Profeten, sondern auch für die kultischen Anweisungen und die Gebetsformen, die alle in der heutigen Situation neu umgesetzt und gelebt werden sollen. Der Prozess, in dem sich die Kirche durch die Auslegung und Aktualisierung der biblischen Schriften als mitagierende Partnerin Gottes in der Welt zeigt, ist daher nie abgeschlossen, solange die Welt besteht. Die Christen sind sich jedoch bewußt geworden, daß sich ihre Auslegung des Alten Testaments nicht, wie es in den vergangenen 2000 Jahren oft der Fall war, gegen jenes Volk richten darf, denen das Alte Testament zuerst gegeben und aufgegeben wurde. Judentum wie Christentum haben sich weiterentwickelt, Israel wie Kirche gehen als Zeugen Gottes durch diese Zeit und haben die Verantwortung, die Botschaft Gottes weiterzugeben und nicht durch ihr Tun zu verdunkeln.