Animabit Multimedia CD-ROM Edition Nr. 2

Ewald Staltner,

Die Schöpfungstheologie im Sirachbuch,

Diplomarbeit Linz 1998

  1. Ausgangspunkt
  2. Überblick über die Schöpfungsaussagen in Sir 1-42,14
  3. Sirach 42,15-43,33
    1. Grafische Synopse der hebräischen, griechischen und syrischen Textformen (geringe Auflösung 300kB)
    2. Grafische Synopse der hebräischen, griechischen und syrischen Textformen (gute Auflösung 2 MB, nur auf CD)
  4. Gliederung und Struktur
  5. Zur Schöpfungstheologie Sirachs
  6. Sirach im Kontext von Tradition und Zeit
  7. Ausblick: Sirach heute?
  8. Literaturverzeichnis

Nicht wie im Chaos: zerquetscht, zerstampft,
Sondern: in Harmonie verstreut,
Wo wir Ordnung in der Vielfalt wahrnehmen,
Und wo alles, voneinander abweichend, dennoch zusammenklingt. 1

Ausgangspunkt

Den modernen Naturwissenschaften gelingt es immer mehr, die dem Kosmos eigene Ordnung aufzudecken und zu verstehen. Diese Ordnung wird zunehmend zum Selbstzweck und führt zum Glauben an eine vollständige Determination des Universums durch die Naturgesetze. Eine ähnliche Sicht finden wir auch bei hellenistischen Autoren in ihrer Darstellung des Nomos. Von daher wirft sich die Frage auf, ob aus dem Umgang der biblischen Autoren mit den hellenistischen Theorien auch für uns heute im ausgehenden 20. Jhdt. Impulse für eine Auseinandersetzung im Spannungsverhältnis von Religion und Naturwissenschaft gewonnen werden können.

Die vorliegende Arbeit versucht dabei, nach einer Skizzierung siracidischer Aussagen zur Schöpfungstheologie (mit dem Schwerpunkt 42,15-43,33) derartige Linien anzureißen. Allerdings nicht im Stile biblizistischer Kritik moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern in der Gegenüberstellung verschiedener Modi betreffend die Wahrnehmung von Natur und der ihr inhärenten Ordnung, sowie der unterschiedlichen Reaktionen, die sich daraus ergeben.

Überblick über die Schöpfungsaussagen in Sir 1-42,14

Behandelt wurden vornehmlich die größeren Einheiten, also Sir 1,1-10; 15,11-18,14; 24,1-33[34]; 33,7-15; 39,12-35. Beim zugegeben überblicksartigen Durchgang ergab sich dabei eine interessante Struktur, deren 'roten Faden' die Weisheit darstellt. Sie ist nach Sir 1 das erste der Werke Gottes und erhält so eine Sonderstellung in der Schöpfung. Schon in Kapitel 1 klingt an, daß diese Weisheit nicht für sich selbst geschaffen ist; doch bevor sie jenen Menschen zugeteilt werden kann, für die sie im besonderen Maße bestimmt ist, bedarf es einer allgemeinen Darstellung der Fähigkeiten des Menschen (15,11-18,14). Nachdem aufgewiesen wird, daß der Mensch mit allem Notwendigen ausgestattet ist und frei ist, sich zu entscheiden zwischen gut und böse und damit auch frei für eine Entscheidung, ob er eine von Gott gegebene Weisheit annehmen will oder nicht, kann die Weisheit ihren Platz an der Seite Gottes verlassen und im Durchwandern der Schöpfung sich anbieten; ihr Ruheplatz wird der Zion werden (Sir 24). Die Rabbinen werden dies später so darstellen, daß Gott die Tora allen Menschen anbot, aber nur die Israeliten sein Angebot annahmen. Bei Sirach weist er aktiv der Weisheit einen Ruheplatz zu. Beim Menschen liegt die Entscheidung, sie aufzunehmen oder nicht; wer sich aber intensiv mit ihr beschäftigt, dem werden Erkenntnisse aufgezeigt, die durch alltägliche Beobachtung nicht feststellbar sind. So einer erkennt die Polarität in der Schöpfung (Sir 33,7-15) und die ihr inhärente Zweckmäßigkeit und Gutheit (Sir 39,12-35). Angesichts solcher Einsichten bleibt dem Gerechten nur noch das Lob des Schöpfers. Den Aufruf dazu in 39, 35

"Nun jubelt von ganzem Herzen, und preist den Namen des Heiligen!"

kai nun en pash| kardia| kai stomati umnhsate kai euloghsate to onoma kuriou

wird Sirach, der sich ausdrücklich als einer dieser Frommen betrachtet, in 42,15-43,33 in die Tat umsetzen.

Darin werden viele der bisher in Lehrform gemachten Äußerungen zur Verherrlichung Gottes herangezogen. Es scheint, als liefe die gesamte Entwicklung der Schöpfungstheologie bei Ben Sira auf diesen einen Hymnus zu.

Sirach 42,15-43,33

  1. Grafische Synopse der hebräischen, griechischen und syrischen Textformen (geringe Auflösung 300kB)
  2. Grafische Synopse der hebräischen, griechischen und syrischen Textformen (gute Auflösung 2 MB, nur auf CD)

Für eine genaue Darstellung der Textbasis sowie der einzelnen Gliederungsmerkmale sei auf die Arbeit verwiesen. Die folgende Kurzübersicht zeigt schon deutlich die Struktur des Hymnus mit dem für Sirach typischen 'Zeit-Raum-Schema' (Begründungsteil 42,18cd-25) und einem die Omnipotenz Gottes kunstvoll beschreibenden Hauptteil. Dabei läßt sich die durch die hymnische Struktur gegebene Grobgliederung noch zahlreich verfeinern und zeugt so von den poetischen Fähigkeiten des Autors.

Gliederung und Struktur

ICH

42,15-25 Einleitung

42,15ab Aufruf zum Gedenken der Werke Gottes

42,15cd-18ab weisheitliche Reflexion

42,18cd-21 Begründung: Omnipräsenz Gottes in der Zeit

42,22-25 Begründung: Omnipräsenz Gottes im Raum

43,1-25 Hauptteil

43,1-12 Werke Gottes am Firmament in der Höhe (Mwrm)

43,1 Die Schönheit der Höhe

43,2-4 Die Macht der strahlenden Sonne

43,5 ADONAI hat sie gemacht

43,10 ADONAI erhält sie durch sein Wort

43,11-12 Der Regenbogen am Horizont (Hymnus)

43,13-22 Gottes machtvolles Eingreifen in die Schöpfung

43,13-16ab SEIN TADEL ergibt die Unwetter

43,16cd-22 SEIN WORT stachelt an die Winde
des Südens / Schnee, Frost, Eisblumen des Nordens / Eis, Dürre, Tau

43,23-25 SEIN GEDANKE in der Tiefe (Mwht)

43,26-33 Abgesang

WIR

43,26-27 Bote / ER ist (das) ALLES

43,28-29 Hymnus auf die Größe Gottes

IHR

43,30-31 Hymnus auf die Unergründbarkeit Gottes

ICH

43,32-33 verborgene Werke / Weisheit für die Frommen

Drei Themen sind es, die nach BURTON als Kernaussagen des Hymnus fungieren: &127;der Eine, der alle Dinge schuf, ist sowohl omnipotent wie auch allgegenwärtig. Gott kontrolliert alle Dinge. [...] Neben der Allgegenwart und Kontrolle von allem steht Gott über allem."2 Dieses Stehen über allen Dingen ist ausgedrückt in Gottes Omniszienz in Zeit und Raum als dem Grundbaustein SEINER Omnipotenz und Parallele zu SEINER Omnipräsenz. Von diesem Wissen (= Weisheit = Tora?) verleiht er den Frommen (V. 33), was sich anhand historischer Tatsachen nachweisen läßt (44,1-50,24). Schöpfung und Geschichte bilden einmal mehr eine Einheit. So wie Gott am Anfang der Schöpfung eine Ordnung gab, so hält er diese Ordnung im Lauf der Geschichte aufrecht und greift mittels der geschaffenen Werke zum Wohl seines Volkes in die Schöpfung ein. Das zeigt auch das folgende LAUS PATRUM, die zweite Tafel des Diptychons von Schöpfung und Geschichte.

Die Schöpfungstheologie erweist sich so als ein strukturierendes Moment des ganzen Buches und erfährt ihren Höhepunkt im Lobpreis auf die Schöpfung, der gleichfalls noch einmal die einzelnen Elemente der Schöpfungsordnung zusammenfaßt. Alles läuft auf diesen großen Lobpreis zu und wird von ihm her verständlich. Dieses Faktum muß auch eine systematische Darstellung siracidischer Schöpfungstheologie berücksichtigen.

Zur Schöpfungstheologie Sirachs

Nach der Durchsicht der Perikopen, der Besprechung schöpfungstheologischer Begriffe von 42,15-43,33, sowie der Gliederung und Übersetzung (basierend auf dem erstellten Textblatt) dieses Hymnus, konnten erste Systematisierungsversuche einer siracidischen Schöpfungstheologie unternommen werden:3

Gott als Schöpfer und Erhalter des lkh

Schöpfung und Geschichte
Diese beiden verknüpft Sirach über die Weisheit. Besonders deutlich wird diese Struktur im Diptychon von Schöpfung und Geschichte in Kap. 42ff.4

Schöpfung und Weisheit

Ordnung der Schöpfung
- Verschiedenheit / Paarigkeit / Polarität
- Gutheit
- Zweckmäßigkeit

Sirach im Kontext von Tradition und Zeit

Ein wesentlicher Einfluß von Gen 1-11 ist in der Verbindung von Schöpfung und Geschichte feststellbar. Dabei gelingt Sirach eine gute Verbindung von P- und J-Theologie, wobei er aber eine durchaus eigene Interpretation der Urgeschichte bringt (vgl. dazu die Darstellung des Sündenfalls in Sir 25,24)
Ein weiterer Aspekt kommt dabei von DtJes, im Speziellen in der Aufnahme der Diktion des Töpfergleichnisses (Jes 45,9-13)5.
Interessante Anklänge finden sich weiters in Ps 19A, bei Kohelet und dem griechischen Zusätzen in Dan 3.

Im Bereich der Apokalyptik ist v.a. das Henochbuch zu erwähnen. Auch Sirach geht es um den Aufweis göttlicher Souveränität, und beide gehen dabei von einer der Schöpfung immanenten Ordnung aus. Während diese für Henoch ein Ergebnis des Gerichts bildet, stellt sie für Sirach gerade die Grundlage desselben dar. Zudem unterscheiden sich bei Sirach nicht die Orte, sondern die Phänomene, welche für Sünder und Gerechte bestimmt sind.

Im Vergleich mit hellenistischen Theorien findet sich eine interessante Übereinstimmung in Motiven und Aufbau mit den Phainomena des ARATUS (280-260 v.Chr.). Eine Besprechung mit Textstellen findet sich im Internet unter http://www.cisi-unito.it/arachne/num2/hunter.html.
Für ARATUS bildet das Wissen um Sterne und Wetterphänomene die einzige Hilfe gegen die chaotische Zeit. Dagegen stellt Sirach nicht schon die Ordnung in den Mittelpunkt, sondern den, der hinter dieser Ordnung steht, den Schöpfer und Erhalter allen Seins

Ausblick: Sirach heute?

Den Schluß der Arbeit bildet ein Ausblick, dessen Ziel es weniger ist, eine biblizistische Kritik moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu sein, sondern vielmehr eine Gegenüberstellung unterschiedlichen Umgangs mit der in der Natur feststellbaren Ordnung.

In Auseinandersetzung mit den Hypothesen HAWKINGS6 und den Ansätzen der modernen Physik lassen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen feststellen. Wie schon zur Zeit Sirachs geht es heute darum, hinter der naturwissenschaftlich feststellbaren Ordnung das ordnende Prinzip, den &127;letzten Grund des Realen"7 zu erkennen.

So ist auch für Sirach der Kosmos nicht der Ablauf der Naturgesetze zu deren Selbstzweck, sondern die Naturgesetze selbst dienen der Offenbarung Gottes. Die Ordnungen können wahrgenommen werden, zu ihrem vollen Verständnis aber bedarf es der Weisheit, die letztlich selbst wieder Offenbarung Gottes ist. Hier tritt die 'religiöse Vernunft' hinzu. Sie erkennt hinter der Schöpfung den Schöpfer, hinter der Ordnung den Ordnenden. Dieses Staunen ob der Herrlichkeit stiftet ihn an zum Lobpreis, ein Lobpreis, der in der Geschichte zahlreiche Nachahmer8 gefunden hat und auch uns gut stünde, gerade angesichts unserer unübersehbaren Kontingenz. [An den Anfang]


1 Zit. n.: BRIGGS John / PEAT David F., Die Entdeckung des Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theorie, München-Wien : HANSER, 1990, 10.

2 BURTON Keith Wayne, Sirach and the Judaic Doctrine of creation, University of Glasgow (UK), (unveröff. PhD), 1987, 186.

3 Diese verstehen sich als ein Beitrag - WISCHMEYER Oda, Die Kultur des Buches Jesus Sirach, BZNW 77, Berlin : deGruyter, 1995, 88; vgl. auch: HAGLER Alois, Der kreative Gott in Ben Sira, Salzburg (unveröff. Diplomarbeit), 1991.

4 Inwieweit überhaupt eine Trias 'Schöpfung - Geschichte außerhalb des Landes - Geschichte im Land' strukturierend für den dritten Teil des Buches Sirach beginnend mit 42,15 sein könnte, bleibt zukünftigen Untersuchungen vorbehalten. Hier wäre dann auch zu fragen, ob parallele Strukturen zur Tora aufzuweisen sind und so eventuell auch von einer Art Midrasch zur Tora gesprochen werden könnte.

5 Nur Deuterojesaja und Sirach haben die Töpfererzählung in einem schöpfungstheologischen Kontext.

6 HAWKING Stephan W., Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums, Reinbeck: Rowohlt, 1994.

7 GUITTON Jean, Gott und die Wissenschaft, München : Artemis, 1992, 17.

8 Vgl. etwa den Sonnengesang des Franz von Assisi. [An den Anfang]