Jesus Sirach in der Kunst

Sirach
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Sir Bibelwissenschaft Franz Böhmisch: Ben Sira-Bibliographie Sir 1

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Art. "Jesus Sirach": in: LCI 2 (1970) 406; Walter Cahn, Die Bibel in der Romanik, München: Hirmer 1982; Reiner Sörries, Die Syrische Bibel von Paris. Paris, Bibliothèque Nationale, syr. 341; eine frühchristliche Bilderhandschrift aus dem 6. Jahrhundert, Wiesbaden: Reichert 1991; H. Belting; G. Cavallo, Die Bibel des Niketas. Ein Werk der höfischen Buchkunst in Byzanz und sein antikes Vorbild, Wiesbaden 1979.

Jesus Sirach in der altchristlichen Kunst

Ben Sira ist Autor des deuterokanonischen biblischen Buches, das in den griechischen Handschriften wie dem Codex Sinaiticus als "Weisheit des Jesus, des Sohnes des Sirach" überliefert wurde und daher die Bezeichnung "Jesus Sirach" erhielt, in der lateinischen Tradition jedoch "Ecclesiasticus" (Der Kirchliche) heißt. Obwohl es sinnvoll wäre, die Person "Ben Sira" vom Buch "Jesus Sirach"/"Ecclesiasticus" zu unterscheiden, hat sich "Jesus Sirach" oder auch nur "Sirach" als Benennung für Person und Werk eingebürgert. Auf jeden Fall falsch ist die ab und zu anzutreffende Bezeichnung "Ben Sirach", die Hebräisch und Griechisch mischt. Man sollte zudem darauf achten, die peinliche Verwechslung von Ecclesiastes (Kohelet, Prediger) mit Ecclesiasticus (Jesus Sirach) zu vermeiden, wie sie fast durchgehend die Beischriften im Buch von Walter Cahn über die Bibel in der Romanik durchzieht. Das Buch Jesus Sirach war in der griechischen und lateinischen Textgeschichte immer als zweiter Teil mit der "Weisheit Salomos" (Sapientia Salomonis) zusammengebunden, was auch die ikonographische Entwicklung wesentlich geprägt hat.

Jesus Sirach als Prophet

Jesus Sirach wird in der christlichen Ikonographie selten dargestellt. Zumeist tritt er in der typischen Gestalt eines Propheten auf, was nicht nur ikonographisch, sondern auch exegetisch bedeutsam ist, da dies die Rezeption des Weisheitslehrers unter dem Vorzeichen "Prophetie" aufzeigt. Die älteste erhaltene Darstellung des Jesus Sirach folgt diesem Typus. Sie findet sich auf fol 218v der Syrischen Bibel von Paris (Bibliothèque Nationale, syr. 341), der "ältesten erhaltenen illustrierten Vollbibel Alten und Neuen Testaments" (Sörries, 1991, 9 und Abb. 24, 92) aus dem 6.-7. Jh. Diese Bibel stellt also zugleich einen der ältesten syrischen Textzeugen dar. Sirach wird als einziger der biblischen Autoren mit einem Codex dargestellt, nicht mit einer Rolle, und damit als Prophet ausgewiesen (Sörries, 1991, 48-49). Ansonsten folgt seine Darstellung der des Esra. Eine Darstellung dieses Typus mit Jesus Sirach als Prophet findet sich auch in der Buchanan-Bibel (Cambridge, fol. 200, Ende 12. Jh., vgl. LCI 2, 406 Lit.).


Jesus Sirach als "Ecclesiasticus", als geistlicher Kirchenbauer

Am rechten Nord-Portal der Kathedrale von Chartres steht diese Statue des Jesus Sirach, die auf der linken Seite ihr Gegenüber in Salomo hat. Zugrunde liegt die Auslegung des Hrabanus Maurus, des ältesten erhaltenen lateinischen Sirachkommentars (vgl. Hrabanus Maurus, Commentarius in Ecclesiasticum, PL 109, 763-764), der Jesus Sirach als "Ecclesiasticus" erläutert: Auf dem Sockel zu Füßen des Jesus Sirach ist ein Tempel als Präfiguration der Kirche dargestellt( vgl. LCI 2, 406 Lit.).

Jesus Sirach im Dialog mit Weisheit und Salomo

Ansonsten ist Jesus Sirach in der gesamten altchristlichen Kunst nur durch die byzantinische Kopie der Niketasbibel bekannt (ebd., vgl. H. Belting; G. Cavallo, Die Bibel des Niketas. Ein Werk der höfischen Buchkunst in Byzanz und sein antikes Vorbild, Wiesbaden 1979). Diese Darstellung ist nun leicht in der "Stuttgarter Bibel der Buchmalerei" als Eingangsminiatur zum Buch Jesus Sirach zugänglich (Die Bibel: Stuttgarter Bibel der Buchmalerei; die Einheitsübersetzung mit Meisterwerken mittelalterlicher Buchkunst, Stuttgart/Zürich 1996, 705). Sie ist signifikant von der Relation der Bücher "Weisheit Salomos" und "Jesus Sirach" geprägt und stellt daher Jesus Sirach mit einer Schriftrolle im Dialog mit dem als byzantinischen Kaiser auf dem Thron stilisierten Salomo dar, der ebenfalls eine Schriftrolle in Händen hält. Hinter ihm ist eine die Weisheit (Sophia) symbolisierende Frau ebenfalls mit einer Schriftrolle in der Hand zu sehen. So entsteht in dieser Darstellung ein kommunikatives Dreieck zwischen Weisheit, Salomo und Jesus Sirach, das die griechische und lateinische Textgeschichte in eindrucksvoller Weise reflektiert. In dieser Darstellung kommt Jesus Sirach ganz als Weisheitslehrer zum Ausdruck, was dem historischen und literarischen Sachverhalt entspricht.


Die Hermeneutik der O-Initialen: Omnis sapientia a domino deo est

Ein bisher unbeachtetes Gebiet ikonographischer Forschung zum Sirach-Buch bilden die Initialminiaturen der lateinischen Bibelhandschriften. Im eindrucksvollen Werk von Walter Cahn, Die Bibel in der Romanik, sind viele O-Initialen am Anfang des lateinischen Sirachbuches dargestellt, werden jedoch in den Beischriften (wohl wegen falscher Umsetzung von Ecclesiasticus zu Ecclesiastes) fälschlich dem "Prediger Salomo" (Ecclesiastes, Kohelet) zugeordnet, im beschreibenden Text jedoch dem "Buch der Weisheit" (Sapientia Salomonis), womit der Autor wohl den Verbund der beiden Bücher in der lateinischen Textgeschichte meint. Die Überschriften und der Text (Omnis sapientia a domino deo est ... Sir 1,1 Vg) sind jedoch eindeutig.

Die O-Initiale am Anfang des Sirachbuches in der Bibel von Tournai (Brüssel, Bibl. Royale, Ms. II.2525, fol 24v, vgl. Cahn, 1982, 114 Abb. 71) ist mit einer Darstellung des thronenden Christus mit geöffnetem Buch ausgeschmückt und so der Inhalt des folgenden Sirachbuches auf Christus ausrichtet.

Die Initiale der Bibel von Mont-Saint-Michel dagegen (Bordeaux, Bibl. Mun., Ms. 1, fol. 301, vgl. Cahn, 1982, 114, Abb. 72) zeigt die Weisheit als gekrönte Frau, die auf ihren ausgestreckten Armen Bücher trägt. So kommt das allumfassende Reich der Sapientia zum Ausdruck (vgl. Cahn, 1982, 115).

In der O-Initale der Bibel von Saint-Thierry (Reims, Bibl. Mun. Ms. 23, fol. 25, vgl. Cahn, 1982, 115 Abb. 73) wird die Sapientia zum Überbegriff für die Vierheit aus phylosophya, phisica, logica und ethica, wobei Physik, Logik und Ethik Medaillons mit weiteren Unterteilungen wie musica in Händen halten. Weisheit wird damit konkretisiert durch die artes liberales, die freien Künste, und damit die zeitgenössische Weisheit in den Wissenschaften in die Theologie hereingeholt.

In der Winchesterbibel (Winchester Cathedral Library, Vol. III, fol. 246, vgl. Cahn, 1982, 240 Abb. 205) wird die O-Initiale des Sirachbuches von einer thronenden Frau Weisheit ausgefüllt, die ein Buch in der Rechten und ein mit einem Kreuz bestückten Apfel in der Linken trägt, auf dem "fides" (Glaube, Treue) geschrieben steht. Mit diesem letzten Attribut wird wohl auch diese Figur der Weisheit in Richtung ecclesia (Kirche) interpretiert. Die künstlerischen Darstellungen am Anfang des Sirachbuches zeigen also unterschiedliche Rezeptionsmuster und hermeneutische Vorzeichen auf, unter denen das Buch Jesus Sirach gelesen wurde: als kirchlicher Katechismus für die Katechumenen, als Weisheitsbuch, als ethischer Leitfaden oder als christologisch zu deutende Weisheitsspekulation.

Passau, 1.10.1998, Franz Böhmisch

Dieser Aufsatz ist Bestandteil der Animabit Multimedia CD-ROM Edition Nr. 2 (1998).

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